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Mittelbrücke auf Föhr - seit 2023 ist sie leider Geschichte

Samstag, 27. August 2022

Lebst du noch - oder fliegst du schon?

Hallo, Ihr Lieben jenseits des Meeres - und auch ihr, hier auf der Insel, in dieser Flaschenpost teile ich mit euch meine Gedanken aus der letzten Morgenandacht. Darin ging es um die Möwe Jonathan - eine alte Geschichte aus dem Jahr 1970, geschrieben von Richard Bach.

Die Möwe Jonathan ist anders als die anderen Möwen. Im Gegensatz zu seinen Artgenossen verstand er das Fliegen als eine Leidenschaft, als eine Kunst, in der er sich immer weiter vervollkommnen wollte. Für die anderen Möwen bedeutete fliegen zu können, dass sie in der Lage waren, Futter zu erbeuten. Jonathan aber wollte alle Feinheiten des Fliegens entdecken, und herausfinden, wie er noch besser und noch eleganter fliegen konnte.

Seiner Mutter antwortete er auf deren Frage, warum um alles in der Welt er nicht sein könne, wie alle anderen auch, folgendes: „Ich will nicht einfach nur Knochen und Federn sein, Mama. Ich will wissen, was ich in der Luft machen kann und was nicht. Das ist alles.“

Trotz aller Widerstände hält Jonathan daran fest, dass seine Flügel mehr sind als Werkzeuge zum Überleben. Und sein Leben lang bleibt er auf der Suche nach dem perfekten Flug, nach noch ein wenig besserer Haltung in der Luft, nach noch mehr Koordination in seinen Muskeln.

„Er bemerkte, dass er eine Feder an der Flügelspitze nur einen Millimeter bewegen musste, um einen weiten Bogen in unglaublicher Geschwindigkeit zu ziehen.“

Und so wurde Jonathan die erste Möwe, die Kunststücke in der Luft vollführte.

Fliegen, um zu leben – oder leben, um zu fliegen.

Der Unterschied wird uns in der Geschichte von Jonathan, der flugbesessenen Möwe sehr deutlich.

Jonathan ist begeistert vom Fliegen. Er fliegt weiter draußen als alle anderen Möwen, er übt Sturzflüge, um Geschwindigkeitsrekorde zu brechen und fliegt enge Kurven.

Jonathan lebt, um zu entdecken – um zu fliegen, um zu lernen, um zu forschen, um frei zu sein.

Den anderen Möwen reichen ihre mittelmäßigen Flugfähigkeiten zur Futtersuche. Sie fliegen, um zu leben. Jonathan mit seinen Ideen stößt auf Unverständnis und wird vom Schwarm verbannt.

Aber er gibt trotz der Ausgrenzung nicht auf – für ihn ist und bleibt das Fliegen das Leben – nicht das Fressen.

Fliegen, um zu leben – oder leben, um zu fliegen.

Ein winziger Unterschied - einfach nur die Umstellung der Worte. Aber ein riesengroßer Unterschied im Leben!

Wer fliegt, um zu leben, der sieht nicht weiter als bis zum nächsten Heringsschwarm, der ihn mit Nahrung versorgt. Wer aber lebt, um zu fliegen, der hat ein Ziel vor Augen, der bleibt neugierig auf das Leben, der wird nicht müde, immer und immer wieder zu üben, bis der Flug elegant und vollkommen ist. Und wenn er vom Schwarm verbannt wird, sucht er sich eine neue Umgebung, in der er fliegen kann, denn das ist sein Leben.

Natürlich stellt sich die Frage an mich:

Lebe ich, um zu fliegen?

Also: ist mein Leben erfüllt von Erlebnissen, aus denen ich Kraft und Hoffnung schöpfe, mache ich gerne, was ich tue, sehe ich einen Sinn darin, täglich zur Arbeit zu gehen und meine Zeit und meine Kraft einzusetzen.

Oder fliege ich, um zu leben:

Also: gehe ich zur Arbeit, obwohl sie mir nichts zurückgibt als nur mein materielles Auskommen (das ist natürlich auch wichtig, aber es wäre schön, wenn das nicht alles ist…). Ertrage ich meine Tage als Last, lasse ich über mich ergehen, was geschieht? Gibt es in meinem Leben etwas, für das zu leben und sich einzusetzen sich lohnt?

Die Möwe Jonathan macht uns vor, dass es vor allem darum geht, die eigene Bestimmung im Leben zu finden. Und auch, wenn es gegen jede Konvention sein sollte – wir müssen nicht verleugnen, wer wir sind und wie wir sind, und was wir sind. Eine Möwe fliegt. Eine Möwe an Land hüpft mühsam umher, unter Wasser kann sie nicht schwimmen, lediglich kurz eintauchen, um einen Fisch zu schnappen. Aber in ihrem eigenen Element, in der Luft – da macht der Möwe keiner was vor – da ist sie zu Hause, da wird sie zum wendigen Kunstflieger.

Sicher kennt ihr den 139. Psalm - es ist einer der schönsten und poetischsten Psalmen, die ich kenne. Auch darin ist von Flügeln die Rede: von den Flügeln der Morgenröte, die mich ans äußerste Meer tragen können. Aber es wäre egal, wohin ich auch flöge: Gott ist schon da. Er trägt mich, seine Hand führt mich am äußersten Meer, oder auch mitten in der Nacht. Ja, mehr noch: Gott kennt mich durch und durch, er weiß, wie ich denke, warum ich handle, wie ich es tue, er weiß, ob ich lebe, um zu fliegen – oder fliege, um zu leben. Er weiß das, denn er hat mich schon gesehen, bevor ich geboren war. Dieses Wissen gibt mir Sicherheit einerseits und macht mich andererseits frei, so wie die Möwe Jonathan meiner Bestimmung zu folgen. Der Psalm endet mit den Worten: Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich, und erfahre, wie ich‘s meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Für mich schließt sich hier der Kreis: von Gott getragen und bestärkt, darf ich leben, um zu fliegen. Ich bringe als Schluss noch einen Satz von Martin Luther:

Der Heilige Geist macht den Menschen keck, fröhlich, mutig,
ja beflügelt ihn zu einer heiteren Dreistigkeit,
nahezu im Schwung des Übermutes das Leben anzupacken und zu gewinnen.

Mögen uns allen hin und wieder mal Flügel wachsen.

Das wünscht euch

Monika


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