Vielleicht erinnert ihr euch an dieses Foto: unsere junge Hündin Ziva ist verwirrt, weil so wenig im Kleiderschrank liegt! |
Kennst du das?
Du stehst morgens vor dem vollen Kleiderschrank und fragst dich verzweifelt: was zieh ich bloß heute an?
Der Schrank ist voll – und dennoch ist nicht das ganz richtige dabei.
Übrigens:
Übrigens:
Jeder Deutsche kauft 60 Kleidungsstücke im Jahr – statistisch gesehen, und jedes fünfte davon wird nie getragen!
Ebenfalls statistisch tragen wir jedes Kleidungsstück im Schnitt 4 Mal, dann ersetzen wir es durch etwas Neues.
Greenpeace hat durch Umfragen unter jungen Frauen herausgefunden, dass ca. 60 % der Befragten zu viel Kleidung besitzen, durchschnittlich ungefähr 130 Euro pro Monat für Kleidung ausgeben und dass jede 2. Kleidungsstücke besitzt, die sie noch nie getragen hat.
Was wir anziehen, das scheint also ein wichtiges Thema zu sein. So wichtig, dass die Modefirmen bis zu 24 Kollektionen pro Jahr herausbringen!
Anscheinend wird das von uns Verbrauchern nachgefragt. Schließlich wollen wir für jeden Dresscode gewappnet sein. Es braucht einfach für jeden Anlass das richtige Outfit – ansonsten würden wir uns unwohl fühlen. Wer im Schlabberlook zum abendlichen Fest mit Tanz geht, wird sich völlig underdressed fühlen – und wer im Glitzerkleid einkaufen geht, der ist auf jeden Fall overdressed und macht sich vermutlich lächerlich.
Kleider machen Leute – das wissen wir schon lange. Wir alle kennen die Geschichten, z.B. von Aschenputtel, die ein tristes Dasein fristet, bis sie mit einem feierlichen Kleid alle Augen, vor allem die des Prinzen, auf sich zieht. Vermutlich hätte der Prinz auf Aschenputtel in der hauswirtschaftlichen Kittelschürze nicht mal einen Blick geworfen – im abendlichen Ballkleid kann sie ihren ganzen Charme ausspielen und ihre Schönheit offenbaren.
Wir kennen auch noch die Anekdote vom Hauptmann von Köpenick – hier verleiht eine Uniform einem schlichten Mann Autorität und bringt eine Kompanie Soldaten dazu, ihm ohne weitere Nachfragen zu folgen.
Und auch die Geschichte von Kaisers neuen Kleidern (ein Märchen von Hans-Christian Andersen) macht uns nachdenklich.
Alle diese Geschichten machen uns deutlich, dass Kleidung für uns mehr ist als eine wärmende Bedeckung unseres Körpers.
Eine Uniform, z.B. bei der Polizei oder der Feuerwehr, verleiht Autorität und vermittelt Sicherheit. Damit wird Vertrauen aufgebaut.
Berufskleidung hat häufig einen praktischen Nutzen für die jeweils ausgeübte Tätigkeit, vermittelt aber auch nach außen den Eindruck von Kompetenz und Fachwissen. Ein Mechaniker–Overall suggeriert zum Beispiel, dass der darin steckende Mensch auch weiß, welche Schrauben er drehen muss und welches Werkzeug das richtige sein wird.
Dagegen vertrauen wir einem Arzt im weißen Kittel eher, als wenn derselbe Mann in Schlabberpulli und Jeans uns behandelt – obwohl er vermutlich unter dem Kittel den Schlabberpulli anhat.
Einem Bankier mit abgenutztem unmodischen Jackett würden wir vermutlich unser Geld nicht anvertrauen.
Es gibt auch Kleidungsstücke, die man heute einfach nicht mehr anziehen möchte, obwohl sie vielleicht ganz praktisch wären. Die Kittelschürze der 50er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist im Haushalt wirklich praktisch, aber niemand möchte dieses Kleidungsstück und damit das Hausmütterchen – Image vergangener Zeiten anziehen.
Kleidung hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Was wir anziehen, bestimmt in hohem Maße, wie wir uns fühlen, wie wir wahrgenommen werden, was man uns zutraut. Es ist nicht egal, was wir tragen!
Andererseits wissen wir natürlich auch, dass die wahren Werte eigentlich innen liegen. Der Mensch sieht, was vor Augen ist – der Herr aber sieht das Herz an, so wird es uns in der Geschichte von Davids Berufung zum König von Israel. (1. Samuel 16, 7) Kleidung müsste daher eigentlich völlig egal sein.
Der Schreiber dieses Kolosserbriefes rät uns, was wir anziehen sollen: die Rede ist von herzlichem Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Vergebung und Liebe.
Diese Aufzählung macht ein wenig atemlos und erinnert an einen übervollen Kleiderschrank. Obwohl die Auswahl groß wäre, hat man das Gefühl: da ist ja gar nichts, was ich anziehen kann.
Hilflos und überfordert höre ich die Aufzählung von Anforderungen. Wirklich, wie soll man das denn schaffen? Insgesamt sind das sieben Forderungen.
Aber Moment: eigentlich sind es keine Forderungen. Eigentlich sind es Angebote, die ich nutzen könnte. So, wie ich meine Kleidung anziehen kann – und mit den angezogenen Kleidungsstücken wird sich mein Lebensgefühl verändern. So kann ich diese Aufzählung verstehen: als eine Möglichkeit, das mal zu versuchen.
Ich könnte doch mal herzliches Erbarmen anziehen, wie einen Pullover, und mal ausprobieren, was passiert, wenn ich mein Herz öffne und die Welt um mich herum mit positiven Augen betrachte. Was wäre, wenn ich Mitgefühl zeigte mit Menschen, die ausgegrenzt oder gemobbt werden? Wenn ich mal versuchte, wirklich zu empfinden, was mein Gegenüber fühlt? Wir nennen das heute nicht mehr herzliches Erbarmen, wir nennen das Empathie und Mitgefühl. Mit Empathie und Mitgefühl kann ich mich für Menschen einsetzen, die das nötig haben. Ich kann auch mal einfach nur zuhören, wenn mir jemand erzählt, was ihn oder sie bedrückt und vielleicht kann ich helfende Worte oder Gesten finden. Damit wird aus dem altmodischen Pullover namens herzliches Erbarmen ein topmodisches Kleidungsstück, das mich schmückt. Irgendwie fühlt sich das gut an. Ich kann das einfach mal ausprobieren, ich kann es anziehen.
Ähnlich ist es mit den anderen Kleidungsstücken, die uns hier vorgestellt werden. Sie wirken auf den ersten Blick unmodern, sie scheinen nicht mehr in den Dresscode unserer Gesellschaft zu passen. Aber wir können mal ausprobieren, wie sich das anfühlt, wenn wir sie anziehen.
Freundlichkeit zum Beispiel. Ja, das ist nicht einfach, immer freundlich zu sein. Manchmal platzt uns einfach die Hutschnur und wir können nicht mehr lächeln oder freundlich sein. Aber dennoch: ich kann es anziehen und spüren, ob dieses Kleidungsstück mich und meine Persönlichkeit schmückt. Umgekehrt ist es ja so, dass wir es sehr schätzen, wenn jemand uns freundlich begegnet, anstatt uns anzuschnauzen. Auf eine freundliche Aufforderung würden wir viel positiver reagieren als auf einen Befehl. Also: lasst uns doch mal Freundlichkeit anziehen.
Demut ist auf jeden Fall kein modisches Kleidungsstück. Das erinnert wirklich so ein wenig an die Kittelschürze der 50er Jahre. Andererseits: Menschen, die arrogant so tun, als ob sie die Weisheit mit Löffeln gegessen hätten, finden wir doch irgendwie unsympathisch, oder? Ich verstehe unter Demut nicht das Verstecken der eigenen Fähigkeiten, oder das Tiefstapeln – aber ich muss auch nicht arrogant mehr scheinen als ich bin und ich muss mich selbst nicht soo wichtig nehmen.
Sanftmut scheint auch irgendwie antiquiert zu sein. Keiner von uns will sich alles gefallen lassen. Müssen wir ja auch nicht. Aber vielleicht ist Sanftmut so etwas wie die Schnürsenkel an unseren Schuhen: man sieht sie kaum, man nimmt sie kaum wahr, aber wenn sie fehlen, können wir nicht laufen. Manchmal macht es Sinn, nicht aus Prinzip sich gegen alles zu wehren, manchmal macht es Sinn, den eigenen Widerspruch runterzuschlucken. Vielleicht nennen wir das nicht mehr Sanftmut. Vielleicht nennen wir das diplomatisch.
Von Geduld ist noch die Rede. Das ist für mich persönlich das schwierigste dieser Kleidungsstücke. Ich muss mich immer wieder zur Geduld selbst ermahnen – vor allem, wenn es darum geht, wieder und wieder dieselben Dinge zu erklären oder auszufechten. Trotzdem: auch ein solches Kleidungsstück, das mir vielleicht jetzt noch viel zu groß ist, darf ich einfach mal anprobieren – und dann mal ausprobieren, was passiert, wenn ich danach handle. Wenn ich so tue, als ob ich geduldig bin, dann werde ich das vermutlich über kurz oder lang wirklich sein.
Bleibt noch die Vergebung: vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern. Einer ertrage den andern, so heißt es hier. Das heißt nun nicht, dass ich klaglos alles mit mir machen lasse. Man kann ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein – aber das muss nicht zum persönlichen Kleinkrieg ausarten. Ich darf auf der Sachebene unterschiedliche Meinungen austragen – aber im persönlichen Bereich kann ich den anderen sein lassen, wie er oder sie eben ist. Ich darf das ausprobieren – ich darf das Kleidungsstück der Vergebung und des gegenseitig-Ertragens anziehen.
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Wenn wir im Bild der Kleidung bleiben, dann ist die Liebe wie der Gürtel, der alles zusammenhält. Wenn die Hose der Vergebung noch zu weit ist, kann der Gürtel der Liebe sie festhalten.
Jedes einzelne dieser Kleidungsstücke steht uns zur Verfügung, damit wir sie anziehen können und erleben können, wie diese Kleidungsstücke uns verändern. Irgendwann sind die neuen Kleider des Christentums vielleicht enger mit mir verbunden, im Laufe eines langen Lebens habe ich nach und nach einüben können, wie diese Kleider nach außen und nach innen wirken.
Die Liebe wird als das Band der Vollkommenheit bezeichnet. Ich deute das so, dass alle diese – ich nenne sie mal Tugenden oder moderner: Werte – wie Kleidungstücke lose an mir sind, ich kann sie anziehen und wieder ausziehen. Aber sobald sie mir zur zweiten Haut geworden sind, dann hat die Liebe alles vollkommen gemacht.
Das ist mit Sicherheit von niemandem aus eigener Kraft zu schaffen. Ich kann mir ja noch so oft vornehmen, ab jetzt mal freundlicher zu sein – sobald irgendeine Situation über meine Kräfte geht, werde ich wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und unfreundlich oder sogar pampig reagieren. Wir Menschen sind nun einmal trotz aller Zivilisation trieb- und instinktgesteuert.
Es ist ja auch nicht so, dass jeder Christ, nur weil er Christ ist, auf einmal ständig lieb und sanftmütig, freundlich und geduldig wäre und völlig selbstlos alles verzeiht, was andere Menschen ihm antun. So läuft das im Leben ja nicht. Daher finde ich dieses Bild von der Kleidung so angemessen. Ich darf jeden Morgen neu entscheiden, welche Kleidungsstücke ich heute anziehen möchte, worauf ich mein Augenmerk lenken möchte. Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass das wie ein stetiges Einüben wirken wird, so dass wir vielleicht nach langer Zeit zu Menschen werden können, die etwas Angenehmes ausstrahlen.
Mit moderneren Worten könnte man auch sagen: ich kann mich jeden Morgen – oder jedenfalls hin und wieder mal über meine Werte klar werden. Worauf baue ich mein Leben? Was sind meine Lebensziele, wofür lohnt es sich, innere Kraft und Entwicklungspotenzial einzusetzen? Für den Schreiber dieses Kolosserbriefes sind die wichtigsten Werte diese sieben: herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, das gegenseitige Ertragen und Vergeben, und als Basis für alles die Liebe.
Wir stehen in diesem Entwicklungsprozess nicht allein – wir sind als Gemeinde aufeinander angewiesen: lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen.
Lest viel in der Bibel, könnte man sagen. Guckt immer mal wieder, ob die Kleidungsstücke noch passen, ob sie vielleicht abgenutzt sind und irgendwo ausgebessert werden müssten.
Jetzt könnte das alles in eine furchtbare Moralität ausarten, dass einer dem andern vorschreibt, wie er oder sie zu leben hätte.
Das ist auch in der Vergangenheit ziemlich oft geschehen. Aber eigentlich finde ich das in diesem Text hier nicht wieder. Sondern da heißt es: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt Gott dankbar in euren Herzen. Das klingt für mich nicht nach Besserwisserei oder moralischem Anspruch.
Denn jetzt kommt endlich die Musik ins Spiel mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern. Gemeinsames Musizieren funktioniert nämlich nur, wenn jede und jeder einzelne Musiker sich unter das Gesamtwerk unterordnet. Jede Stimme, jedes Instrument ist dabei wichtig, selbst die kleine Triangel, die so oft belächelt wird. Auch wenn ein Instrument im gesamten Stück nur 4 Takte zu spielen hätte, kann man darauf nicht verzichten. Es kann auch nicht ein Musiker einfach in einer anderen Tonart oder einem anderen Takt spielen – vielleicht weil ihm das leichter fällt. Das Gesamtwerk würde dadurch kaputt gehen. Wir sollen uns also gegenseitig ermahnen, in aller Weisheit und so, wie Musiker zusammen musizieren: auf das gemeinsame Stück konzentriert und darauf ausgerichtet, dass das gut klingt.
Der Briefschreiber fasst das dann auch folgerichtig im letzten Satz dieses Abschnittes zusammen, wenn er sagt: alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
Einen Satz aus dem Predigttext habe ich bisher noch ausgelassen: da heißt es nämlich noch: der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen und seid dankbar.
Wenn der Friede Christi uns regiert, dann geht es nicht darum, besserwisserisch andere zu vermeintlich christlichem Lebensstil zu erziehen oder die selbst erkannten Werte auch anderen aufzuzwingen. Wenn der Friede Christi uns regiert, dann können wir akzeptieren, dass andere Menschen etwas andere Werte haben, als wir selbst, dass sie einer anderen Kultur entstammen, dass ihnen andere Dinge im Leben wichtig sind. Der Frieden Christi verbindet uns – über individuelle, kulturelle oder sonstige Grenzen hinweg.
Lasst uns also festliche Kleidung anlegen, und gemeinsam das Konzert unseres Lebens spielen.
Ebenfalls statistisch tragen wir jedes Kleidungsstück im Schnitt 4 Mal, dann ersetzen wir es durch etwas Neues.
Greenpeace hat durch Umfragen unter jungen Frauen herausgefunden, dass ca. 60 % der Befragten zu viel Kleidung besitzen, durchschnittlich ungefähr 130 Euro pro Monat für Kleidung ausgeben und dass jede 2. Kleidungsstücke besitzt, die sie noch nie getragen hat.
Was wir anziehen, das scheint also ein wichtiges Thema zu sein. So wichtig, dass die Modefirmen bis zu 24 Kollektionen pro Jahr herausbringen!
Anscheinend wird das von uns Verbrauchern nachgefragt. Schließlich wollen wir für jeden Dresscode gewappnet sein. Es braucht einfach für jeden Anlass das richtige Outfit – ansonsten würden wir uns unwohl fühlen. Wer im Schlabberlook zum abendlichen Fest mit Tanz geht, wird sich völlig underdressed fühlen – und wer im Glitzerkleid einkaufen geht, der ist auf jeden Fall overdressed und macht sich vermutlich lächerlich.
Kleider machen Leute – das wissen wir schon lange. Wir alle kennen die Geschichten, z.B. von Aschenputtel, die ein tristes Dasein fristet, bis sie mit einem feierlichen Kleid alle Augen, vor allem die des Prinzen, auf sich zieht. Vermutlich hätte der Prinz auf Aschenputtel in der hauswirtschaftlichen Kittelschürze nicht mal einen Blick geworfen – im abendlichen Ballkleid kann sie ihren ganzen Charme ausspielen und ihre Schönheit offenbaren.
Wir kennen auch noch die Anekdote vom Hauptmann von Köpenick – hier verleiht eine Uniform einem schlichten Mann Autorität und bringt eine Kompanie Soldaten dazu, ihm ohne weitere Nachfragen zu folgen.
Und auch die Geschichte von Kaisers neuen Kleidern (ein Märchen von Hans-Christian Andersen) macht uns nachdenklich.
Alle diese Geschichten machen uns deutlich, dass Kleidung für uns mehr ist als eine wärmende Bedeckung unseres Körpers.
Eine Uniform, z.B. bei der Polizei oder der Feuerwehr, verleiht Autorität und vermittelt Sicherheit. Damit wird Vertrauen aufgebaut.
Berufskleidung hat häufig einen praktischen Nutzen für die jeweils ausgeübte Tätigkeit, vermittelt aber auch nach außen den Eindruck von Kompetenz und Fachwissen. Ein Mechaniker–Overall suggeriert zum Beispiel, dass der darin steckende Mensch auch weiß, welche Schrauben er drehen muss und welches Werkzeug das richtige sein wird.
Dagegen vertrauen wir einem Arzt im weißen Kittel eher, als wenn derselbe Mann in Schlabberpulli und Jeans uns behandelt – obwohl er vermutlich unter dem Kittel den Schlabberpulli anhat.
Einem Bankier mit abgenutztem unmodischen Jackett würden wir vermutlich unser Geld nicht anvertrauen.
Es gibt auch Kleidungsstücke, die man heute einfach nicht mehr anziehen möchte, obwohl sie vielleicht ganz praktisch wären. Die Kittelschürze der 50er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist im Haushalt wirklich praktisch, aber niemand möchte dieses Kleidungsstück und damit das Hausmütterchen – Image vergangener Zeiten anziehen.
Kleidung hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Was wir anziehen, bestimmt in hohem Maße, wie wir uns fühlen, wie wir wahrgenommen werden, was man uns zutraut. Es ist nicht egal, was wir tragen!
Andererseits wissen wir natürlich auch, dass die wahren Werte eigentlich innen liegen. Der Mensch sieht, was vor Augen ist – der Herr aber sieht das Herz an, so wird es uns in der Geschichte von Davids Berufung zum König von Israel. (1. Samuel 16, 7) Kleidung müsste daher eigentlich völlig egal sein.
Und jetzt kommt der letzte Sonntag, Kantate, und schlägt folgenden Predigttext vor:
Zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftheit, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit! Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in eurem Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus Christus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Kolosser 3, 12-17
Diese Aufzählung macht ein wenig atemlos und erinnert an einen übervollen Kleiderschrank. Obwohl die Auswahl groß wäre, hat man das Gefühl: da ist ja gar nichts, was ich anziehen kann.
Hilflos und überfordert höre ich die Aufzählung von Anforderungen. Wirklich, wie soll man das denn schaffen? Insgesamt sind das sieben Forderungen.
Aber Moment: eigentlich sind es keine Forderungen. Eigentlich sind es Angebote, die ich nutzen könnte. So, wie ich meine Kleidung anziehen kann – und mit den angezogenen Kleidungsstücken wird sich mein Lebensgefühl verändern. So kann ich diese Aufzählung verstehen: als eine Möglichkeit, das mal zu versuchen.
Ich könnte doch mal herzliches Erbarmen anziehen, wie einen Pullover, und mal ausprobieren, was passiert, wenn ich mein Herz öffne und die Welt um mich herum mit positiven Augen betrachte. Was wäre, wenn ich Mitgefühl zeigte mit Menschen, die ausgegrenzt oder gemobbt werden? Wenn ich mal versuchte, wirklich zu empfinden, was mein Gegenüber fühlt? Wir nennen das heute nicht mehr herzliches Erbarmen, wir nennen das Empathie und Mitgefühl. Mit Empathie und Mitgefühl kann ich mich für Menschen einsetzen, die das nötig haben. Ich kann auch mal einfach nur zuhören, wenn mir jemand erzählt, was ihn oder sie bedrückt und vielleicht kann ich helfende Worte oder Gesten finden. Damit wird aus dem altmodischen Pullover namens herzliches Erbarmen ein topmodisches Kleidungsstück, das mich schmückt. Irgendwie fühlt sich das gut an. Ich kann das einfach mal ausprobieren, ich kann es anziehen.
Ähnlich ist es mit den anderen Kleidungsstücken, die uns hier vorgestellt werden. Sie wirken auf den ersten Blick unmodern, sie scheinen nicht mehr in den Dresscode unserer Gesellschaft zu passen. Aber wir können mal ausprobieren, wie sich das anfühlt, wenn wir sie anziehen.
Freundlichkeit zum Beispiel. Ja, das ist nicht einfach, immer freundlich zu sein. Manchmal platzt uns einfach die Hutschnur und wir können nicht mehr lächeln oder freundlich sein. Aber dennoch: ich kann es anziehen und spüren, ob dieses Kleidungsstück mich und meine Persönlichkeit schmückt. Umgekehrt ist es ja so, dass wir es sehr schätzen, wenn jemand uns freundlich begegnet, anstatt uns anzuschnauzen. Auf eine freundliche Aufforderung würden wir viel positiver reagieren als auf einen Befehl. Also: lasst uns doch mal Freundlichkeit anziehen.
Demut ist auf jeden Fall kein modisches Kleidungsstück. Das erinnert wirklich so ein wenig an die Kittelschürze der 50er Jahre. Andererseits: Menschen, die arrogant so tun, als ob sie die Weisheit mit Löffeln gegessen hätten, finden wir doch irgendwie unsympathisch, oder? Ich verstehe unter Demut nicht das Verstecken der eigenen Fähigkeiten, oder das Tiefstapeln – aber ich muss auch nicht arrogant mehr scheinen als ich bin und ich muss mich selbst nicht soo wichtig nehmen.
Sanftmut scheint auch irgendwie antiquiert zu sein. Keiner von uns will sich alles gefallen lassen. Müssen wir ja auch nicht. Aber vielleicht ist Sanftmut so etwas wie die Schnürsenkel an unseren Schuhen: man sieht sie kaum, man nimmt sie kaum wahr, aber wenn sie fehlen, können wir nicht laufen. Manchmal macht es Sinn, nicht aus Prinzip sich gegen alles zu wehren, manchmal macht es Sinn, den eigenen Widerspruch runterzuschlucken. Vielleicht nennen wir das nicht mehr Sanftmut. Vielleicht nennen wir das diplomatisch.
Von Geduld ist noch die Rede. Das ist für mich persönlich das schwierigste dieser Kleidungsstücke. Ich muss mich immer wieder zur Geduld selbst ermahnen – vor allem, wenn es darum geht, wieder und wieder dieselben Dinge zu erklären oder auszufechten. Trotzdem: auch ein solches Kleidungsstück, das mir vielleicht jetzt noch viel zu groß ist, darf ich einfach mal anprobieren – und dann mal ausprobieren, was passiert, wenn ich danach handle. Wenn ich so tue, als ob ich geduldig bin, dann werde ich das vermutlich über kurz oder lang wirklich sein.
Bleibt noch die Vergebung: vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern. Einer ertrage den andern, so heißt es hier. Das heißt nun nicht, dass ich klaglos alles mit mir machen lasse. Man kann ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein – aber das muss nicht zum persönlichen Kleinkrieg ausarten. Ich darf auf der Sachebene unterschiedliche Meinungen austragen – aber im persönlichen Bereich kann ich den anderen sein lassen, wie er oder sie eben ist. Ich darf das ausprobieren – ich darf das Kleidungsstück der Vergebung und des gegenseitig-Ertragens anziehen.
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Wenn wir im Bild der Kleidung bleiben, dann ist die Liebe wie der Gürtel, der alles zusammenhält. Wenn die Hose der Vergebung noch zu weit ist, kann der Gürtel der Liebe sie festhalten.
Jedes einzelne dieser Kleidungsstücke steht uns zur Verfügung, damit wir sie anziehen können und erleben können, wie diese Kleidungsstücke uns verändern. Irgendwann sind die neuen Kleider des Christentums vielleicht enger mit mir verbunden, im Laufe eines langen Lebens habe ich nach und nach einüben können, wie diese Kleider nach außen und nach innen wirken.
Die Liebe wird als das Band der Vollkommenheit bezeichnet. Ich deute das so, dass alle diese – ich nenne sie mal Tugenden oder moderner: Werte – wie Kleidungstücke lose an mir sind, ich kann sie anziehen und wieder ausziehen. Aber sobald sie mir zur zweiten Haut geworden sind, dann hat die Liebe alles vollkommen gemacht.
Das ist mit Sicherheit von niemandem aus eigener Kraft zu schaffen. Ich kann mir ja noch so oft vornehmen, ab jetzt mal freundlicher zu sein – sobald irgendeine Situation über meine Kräfte geht, werde ich wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und unfreundlich oder sogar pampig reagieren. Wir Menschen sind nun einmal trotz aller Zivilisation trieb- und instinktgesteuert.
Es ist ja auch nicht so, dass jeder Christ, nur weil er Christ ist, auf einmal ständig lieb und sanftmütig, freundlich und geduldig wäre und völlig selbstlos alles verzeiht, was andere Menschen ihm antun. So läuft das im Leben ja nicht. Daher finde ich dieses Bild von der Kleidung so angemessen. Ich darf jeden Morgen neu entscheiden, welche Kleidungsstücke ich heute anziehen möchte, worauf ich mein Augenmerk lenken möchte. Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass das wie ein stetiges Einüben wirken wird, so dass wir vielleicht nach langer Zeit zu Menschen werden können, die etwas Angenehmes ausstrahlen.
Mit moderneren Worten könnte man auch sagen: ich kann mich jeden Morgen – oder jedenfalls hin und wieder mal über meine Werte klar werden. Worauf baue ich mein Leben? Was sind meine Lebensziele, wofür lohnt es sich, innere Kraft und Entwicklungspotenzial einzusetzen? Für den Schreiber dieses Kolosserbriefes sind die wichtigsten Werte diese sieben: herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, das gegenseitige Ertragen und Vergeben, und als Basis für alles die Liebe.
Wir stehen in diesem Entwicklungsprozess nicht allein – wir sind als Gemeinde aufeinander angewiesen: lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen.
Lest viel in der Bibel, könnte man sagen. Guckt immer mal wieder, ob die Kleidungsstücke noch passen, ob sie vielleicht abgenutzt sind und irgendwo ausgebessert werden müssten.
Jetzt könnte das alles in eine furchtbare Moralität ausarten, dass einer dem andern vorschreibt, wie er oder sie zu leben hätte.
Das ist auch in der Vergangenheit ziemlich oft geschehen. Aber eigentlich finde ich das in diesem Text hier nicht wieder. Sondern da heißt es: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt Gott dankbar in euren Herzen. Das klingt für mich nicht nach Besserwisserei oder moralischem Anspruch.
Denn jetzt kommt endlich die Musik ins Spiel mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern. Gemeinsames Musizieren funktioniert nämlich nur, wenn jede und jeder einzelne Musiker sich unter das Gesamtwerk unterordnet. Jede Stimme, jedes Instrument ist dabei wichtig, selbst die kleine Triangel, die so oft belächelt wird. Auch wenn ein Instrument im gesamten Stück nur 4 Takte zu spielen hätte, kann man darauf nicht verzichten. Es kann auch nicht ein Musiker einfach in einer anderen Tonart oder einem anderen Takt spielen – vielleicht weil ihm das leichter fällt. Das Gesamtwerk würde dadurch kaputt gehen. Wir sollen uns also gegenseitig ermahnen, in aller Weisheit und so, wie Musiker zusammen musizieren: auf das gemeinsame Stück konzentriert und darauf ausgerichtet, dass das gut klingt.
Der Briefschreiber fasst das dann auch folgerichtig im letzten Satz dieses Abschnittes zusammen, wenn er sagt: alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
Einen Satz aus dem Predigttext habe ich bisher noch ausgelassen: da heißt es nämlich noch: der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen und seid dankbar.
Wenn der Friede Christi uns regiert, dann geht es nicht darum, besserwisserisch andere zu vermeintlich christlichem Lebensstil zu erziehen oder die selbst erkannten Werte auch anderen aufzuzwingen. Wenn der Friede Christi uns regiert, dann können wir akzeptieren, dass andere Menschen etwas andere Werte haben, als wir selbst, dass sie einer anderen Kultur entstammen, dass ihnen andere Dinge im Leben wichtig sind. Der Frieden Christi verbindet uns – über individuelle, kulturelle oder sonstige Grenzen hinweg.
Lasst uns also festliche Kleidung anlegen, und gemeinsam das Konzert unseres Lebens spielen.
In diesem Sinne grüßt herzlich
Monika |
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