Hallo, Ihr Lieben jenseits des Meeres - und auch ihr, hier auf der Insel, in dieser Flaschenpost erzähle ich euch von aufgeschobenen Projekten, meinem Kleiderschrank und warum mich leere Fächer glücklich machen.
In dieser Woche haben wir unsere große Tochter mal wieder zu Besuch - und mit ihrem unnachahmlichen Charme hat sie mich dazu gebracht, mit ihr zusammen ein Projekt anzugehen, das ich seit mindestens 20 Jahren vor mir herschiebe: das Ausmisten meines Kleiderschrankes.
Könnt ihr euch vorstellen, wie mein Kleiderschrank aussah? Leider habe ich kein Vorher-Foto davon - ihr müsst mal euer Kopfkino einschalten: 20 Jahre lang habe ich gesammelt, T-Shirts, Pullover, Strickjacken, Hosen, selbstgestrickte Socken (zwei große Kisten voll!), stapelweise Anziehsachen, von denen ich nur einen Bruchteil wirklich gerne angezogen habe.
Es hat einen ganzen Nachmittag gedauert - dann war mein Kleiderschrank leer. 8 Tüten alte Sachen haben wir für den Kleidercontainer aussortiert.
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Unsere Hündin Ziva ist verwirrt: nur noch so wenig im Schrank? |
Wisst ihr, wie sich das anfühlt?
Ich habe Trauer empfunden, denn mit jedem Kleidungsstück waren Erinnerungen verknüpft: besondere Momente, in denen ich diesen Pullover getragen habe, liebe Menschen, die mir dieses Shirt geschenkt haben, auch Handarbeit in Form von selbst genähten Sweatjacken oder gestrickten Socken war dabei. Aber wie gesagt - tragbar war davon nur ein Bruchteil. Alles andere war ausgewaschen, hart geworden, die Fasern waren dünn, oder die Farben waren nicht mehr zeitgemäß, von modern will ich gar nicht reden. Das Ansehen der gesammelten Stücke hat mich eher mit Scham und Trauer erfüllt, als mit Freude, denn ich habe in diesen 20 Jahren ordentlich an Gewicht zugelegt, so dass mir viele Sachen gar nicht mehr passen. Es machte mich traurig, dass all das nicht mehr passt. Also wurde gnadenlos aussortiert - und mit jedem aussortierten Kleidungsstück gab ich einen Teil meiner greifbaren Vergangenheit ab. Leicht ist das nicht!
Aber so langsam macht sich ein anderes Gefühl in mir breit. Nicht mehr Trauer bestimmt mich, wenn ich in den Schrank schaue, sondern ein Gefühl von Freiheit und Freude: jedes der Kleidungsstücke, die jetzt noch hier liegen, kann ich auch anziehen. Von manchen Schätzchen wusste ich nicht einmal mehr, dass sie noch da sind. Und ich kann auf einen Blick sehen, was ich habe und daraus mein tägliches Outfit zusammenstellen.
Ich lerne, anders hinzusehen: ich sehe nicht mehr das, was nicht mehr da ist, ich nehme nicht den Mangel wahr - sondern ich kann sehen, was da ist. Es ist ja genug zum Anziehen da - es fehlt ja nichts, auch wenn ich jetzt viel weniger habe als vorher.
Langsam kommt Freude auf, und es geht mir so, wie unsere Tochter mich bei jedem Kleidungsstück gefragt hat: Sparkt es Joy? Glitzert es, wenn du es anschaust?
Mein Kleiderschrank wird zum Symbol für meinen Alltag: er ist übervoll mit angesammelten Gewohnheiten, mit Tätigkeiten, deren Sinn ich manchmal nicht einmal verstehe. Was gut für mich ist, was gerade dran sein könnte, welche Aufgabe auf mich wartet - das kann ich vor lauter Alltag nicht einmal wahrnehmen. Es fehlt der Überblick, es fehlt Zeit zum Sortieren und Verstehen, zum Sacken lassen und zum Frieden schließen mit dem, was nicht geglückt ist, und zum Danken für alles Geglückte in meinem Leben.
Mit anderen Worten: es fehlt in meinem Alltag an Achtsamkeit.
Achtsamkeit ist ein modernes Wort für eine uralte Lebenshaltung. Hinter dem Wort Achtsamkeit versteckt sich die Erkenntnis, dass unser Leben im Moment gelebt werden will. Oliver Behrendt sagt dazu auf der Webseite Pfarrbriefservice.de:
Wahr ist, wohl nie wurde im Alltag mehr geballte Aufmerksamkeit gefordert als im 21. Jahrhundert. Bereits das morgendliche Verlassen des Hauses ist im Berufsverkehr der Großstädte nur dann gefahrlos, wenn wir alle unsere sechs Sinne beisammenhaben. […] Dem steht aber eine andere Wirklichkeit gegenüber. […] Das meiste läuft automatisch nebenher, oder es erledigen möglichst schnell Maschinen für uns. Wir düsen im Eselsgalopp durchs Leben. Gerade in den kleinen Dingen handeln wir deswegen zunehmend bewusstlos.
Oliver Behrendt, 02.12.2011
Der Gegenentwurf zu diesem Hetzen durch den Alltag, zu diesem bewusstlosen Vor-Sich-Hin-Leben wäre ein achtsamerer Umgang mit mir, meiner Zeit, meiner Umwelt. Vielleicht nicht immer und jederzeit - das würde einen neuen Stress aufbauen. Aber vielleicht kann ich ab und zu einmal kurz innehalten, bewusst atmen oder den Boden unter meinen Füßen wahrnehmen, oder nachspüren, wie ich sitze, oder ähnliches.
Bald beginnt die Fastenzeit und damit die bekannte Fastenaktion "7 Wochen ohne... ".
Ich habe mit dem Ausmisten meines Kleiderschrankes schon angefangen: 7 Wochen ohne vollen Kleiderschrank, aber mir ist dabei auch greifbar bewusst geworden: "ein 7 Wochen ohne" beinhaltet immer auch "ein 7 Wochen mit":
ein leerer Kleiderschrank bedeutet: viel Platz für guten Überblick, zum Sortieren - und natürlich für neue schöne Sachen!
7 Wochen ohne negative Gedanken bedeutet: positive Gedanken könnten meinen inneren Nörgler ersetzen.
7 Wochen ohne Plastikmüll heißt: 7 Wochen mit bewusstem Einkauf und einem nachhaltigeren Lebensstil.
7 Wochen ohne Fleisch bedeutet: 7 Wochen originelle, weil unbekannte Gerichte ohne Fleisch, dafür mit viel Gemüse. Vielleicht entdecke ich mein neues Lieblingsgericht?
7 Wochen ohne Schokolade oder Gummibärchen heißt: 7 Wochen mit bewusster, vielleicht gesünderer Ernährung.
Das sind ein paar Beispiele, wie man die 7 Wochen Fastenzeit füllen kann. Man muss nicht alles auf einmal fasten - das verlangt niemand. Aber sich für die begrenzte Zeit von 7 Wochen ein Verhaltensmuster vorzunehmen, auf das man mal verzichtet - das wäre ein guter Anfang und macht vielleicht den Blick frei für Alternativen. Oder ich entdecke, dass bestimmte moderne Verhaltensmuster wirklich nichts für mich sind.
Ich erinnere mich an einen Satz, den Jesus zu seinen Jüngern gesagt hat:
Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Matth. 6, 25 und 26
Ohne Zukunftsangst, im Hier und Jetzt leben, das wird mir nicht immer gelingen. Aber sich zu trennen von alten Dingen und Gewohnheiten - das könnte jetzt schon mal frei dafür machen!
In diesem Sinne, seid herzlichst gegrüßt von der schönsten Insel der Welt
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