Herzlich Willkommen auf meinem Blog

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Mittelbrücke auf Föhr - seit 2023 ist sie leider Geschichte

Samstag, 15. Oktober 2022

Das Insel-Ei in der Großstadt...

Hallo, Ihr Lieben jenseits des Meeres - und auch ihr,  auf der Insel, in dieser Flaschenpost möchte ich ein paar Eindrücke aus meinem Berlin-Aufenthalt teilen. Ich habe derzeit nämlich Urlaub und war letzte Woche für ein paar Tage in Berlin. Hier das Beweisfoto:
Da seht ihr mich Insel-Ei vor der
Gedächtniskirche in Berlin
(warum sieht man auf Selfies immer
so blöd aus?)
Am letzten Samstag war ich im Berliner Tiergarten - ein unglaublich weitläufiges Gelände, das zu ausgedehnten Spaziergängen unter uralten Eichen einlädt.
Nur noch wenige Meter bis zum Tierpark - ist
schön dort!
Aber ich will euch jetzt nicht mit Bilder über den Tierpark langweilen, sondern mit einer Entdeckung, die ich auf dem Rückweg gemacht habe.
Ich ging nämlich schon ziemlich müde und erschöpft von der S-Bahn nach Hause, da sah ich mitten auf dem Gehweg etwas glitzern. Das machte mich neugierig, es lag genau auf meinem Weg, also ging ich näher heran.
Was ich dort so ganz zufällig gesehen habe, das war dieses:
Das sind so genannte Stolpersteine
Zwei "Stolpersteine" mitten auf dem Bürgersteig. Bereits in anderen Städten habe ich solche kleinen Messingplatten auf dem Gehweg gesehen, ich konnte mich auch daran erinnern, darüber etwas gelesen und im Fernsehen gesehen zu haben - aber dennoch bin ich bisher meist ziemlich unachtsam darüber hinweg gegangen. Warum mir gerade an diesem Tag die beiden kleinen Messing-Steine auffielen, warum ich stehen blieb und mich gebückt habe und die beiden Platten dann auch noch fotografiert habe - ich kann es nicht sagen. Irgendwie haben mich diese glänzenden Gehweg-Einlagen angeblinkt und meine Aufmerksamkeit gefordert. Die Inschriften auf diesen beiden lauten: "Hier wohnte Oskar Korn, JG 1870, deportiert 2.4.1942, Ghetto Warschau, ermordet." Das steht auf der rechten Platte. Die Inschrift der linken lautet: "Hier wohnte Paula Blumenthal, geb. Korn, JG 1877, deportiert 19.1.1942, Riga, ermordet."
Nur ein paar Schritte weiter in derselben Straße gab es gleich drei solche Stolpersteine, die an eine Familie erinnern, die dort gewohnt hatte, bis sie von den Machthabern des sog. III. Reiches deportiert und ermordet wurden.
Meine Aufmerksamkeit war geweckt. Ich war sozusagen "angepiekt". Anstatt auf meinem Weg die schöne Architektur von Berlin oder die Schaufenster anzuschauen, guckte ich nach unten. Gibt es mehr solche kleinen Metall-Denkmäler? Und ja, ich fand etliche, ich habe jedes einzelne fotografiert - in meinen verbleibenden zwei Tagen in Berlin fand ich noch insgesamt 25 solche Stolpersteine. Bei jedem einzelnen blieb ich stehen, schaute mich um, ob mich irgendjemand beobachtet - es war mir ein wenig peinlich, diese kleinen Erinnerungen zu fotografieren, ich kam mir ein wenig wie ein Voyageur vor. Aber ich habe mich für jeden kleinen Messingstein gebückt, ihn fotografiert, die Inschriften gelesen, und mir bei jedem Stein zwei  Fragen gestellt.
Die erste Frage: Haben die anderen Menschen in diesen Straßen wirklich nichts davon mitbekommen, dass da auf einmal ganze Familien abtransportiert worden sind? Vor einem Haus auf dem Ku-Damm gab es sogar 13 Platten! Das muss man doch bemerkt haben. Das muss den Nachbarn doch merkwürdig vorgekommen sein!
13 Stolpersteine vor demselben Haus!
Und die zweite Frage: Wie hätte ich mich als Nachbarin verhalten, wenn ich zu dieser Zeit gelebt hätte? Hätte ich den Mut gefunden, laut zu werden, bei diesem himmelschreienden Unrecht? Oder hätte ich auch den Kopf eingezogen und vorgegeben, nichts zu wissen? Ich weiß es nicht.

Wie dem auch sei - diese Stolpersteine lassen mich nicht mehr los. Wenn ich noch in anderen Städten welche finde, werde ich sie ebenfalls fotografieren und quasi "sammeln". Nicht, dass das ein schönes Sammel-Gebiet ist, aber all diese Menschen, die ermordet wurden, nur weil sie einer anderen Kultur angehört haben oder vielleicht an einer geistigen Behinderung litten - all diese Menschen haben das Recht, dass man sie nicht vergisst. Diese kleinen Stolpersteine übermitteln wenigstens die Namen - auch wenn man ansonsten ja nichts mehr über diese Personen weiß. Im Internet gibt es eine lange Liste mit allen Stolpersteinen, die bisher verlegt worden sind. Für alle Steine kann man die Inschrift nachlesen, für manche Personen gibt es einen kleinen oder größeren Lebenslauf. Mich hat das einfach nicht mehr losgelassen - ich habe nachgeschlagen, welche Steine in dem Berliner Stadtteil, in dem ich war, noch zu finden sind: die Liste ist schier endlos! Man braucht mehrere Stunden, um alles durchzusehen. Und das ist nur der Stadtteil Wilmersdorf! 

Ich musste das einfach mal mit euch teilen. Mich beschäftigen diese Stolpersteine immer noch. Meine Seele ist darüber gestolpert, nicht mein Fuß. 
Ich wünsche mir, dass so etwas nie wieder vorkommen mag. Menschen haben einfach nicht das Recht, andere Menschen zu drangsalieren und sie gezielt und geplant zu vernichten, nur weil sie "anders" sind. 

Einen weiteren Gedanken muss ich noch loswerden: nämlich den Bibelvers, den wir so gerne zu Taufen wählen: 
Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Psalm 91

Auch wenn ich mir und euch das wünsche, dass ihr getragen und behütet durchs Leben gehen dürft - über diese Steine, die da mitten im Weg glänzen, stolpere ich, naja, nicht gerade gerne, aber es ist gut, darüber zu stolpern, damit die Sinne wach bleiben und die Frage immer wieder in mir laut wird: wie hättest du gehandelt?

Ihr Lieben, ich verabschiede mich für die nächsten zwei Wochen. Ich habe noch den ganzen Oktober Urlaub. Ich werde also in den nächsten Wochen vermutlich keine Gedanken posten - es sei denn, ich stolpere nochmal über irgend so etwas, was mich einfach nicht loslässt.
Seid gesegnet
Monika


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