eine Flaschenpost zum Nachdenken
Ein Fund auf dem feuchten Wattboden bringt mich zum Nachdenken:
Da liegen eine Miesmuschel, eine Auster und ein Stückchen
Seetang eng beieinander auf dem Wattboden. Wer genau hinsieht, erkennt auf der
Miesmuschel auch noch ein paar sogenannte Seepocken. Diese Lebewesen, die hier
„kuschelig“ beieinander liegen, könnten unterschiedlicher nicht sein: der
Seetang gehört zu den Algen, ist also ein pflanzenartiges Unterwasser-Gewächs.
Die Muscheln gehören zu den sogenannten Schalentieren: mit der harten
Außenschale schützen sie ihr verletzliches Inneres vor Fressfeinden. Und dann
sind da noch die Seepocken auf der Miesmuschel – sie gehören zu den
Krebstierchen, sind also genau genommen ebenfalls Schalentiere.
Und hier liegen sie einträchtig beieinander, ja sie sind sogar
miteinander verbunden, denn die Miesmuschel bildet Klebefäden aus, eigentlich, um
sich mit anderen Miesmuscheln zu verbinden. Das kann man sich ein bisschen so
vorstellen, wie geschmolzener Käse: er fließt in alles, was darunter liegt, und
verbindet die verschiedenen Zutaten der Pizza oder des Auflaufs miteinander.
Wenn man mit der Gabel in die Pizza oder in den Auflauf sticht und ein
Stückchen davon rausziehen will, zieht der Käse klebrige Fäden.
So ähnlich verbinden sich die Miesmuscheln miteinander – jede
produziert diese Klebefäden. Auf diese Weise bilden sich riesige Ansammlungen
von Miesmuscheln, die sich gegenseitig aneinander festhalten. Ja, mehr noch:
die Miesmuscheln scheiden als Abfallprodukt aus ihrem Stoffwechsel eine Art
Schlick aus, der sich um sie herum ablagert, und ziemlich schnell zu einem
richtigen „Berg“ anwächst. Die Muschel würde eigentlich von ihren eigenen Ausscheidungen
überwachsen und erstickt werden. Aber dadurch, dass sich viele Muscheln über
die Klebefäden verbunden haben, bekommen sie einen größeren Auftrieb und können
so ihren eigenen Ausscheidungen entkommen.
Und hier sind sie nun versammelt: die Miesmuschel, die
Auster, der Seetang und auch noch die Seepocken – alle zusammengeklebt durch
die Klebefäden der Miesmuschel. Und weil sie alle zusammengehalten werden,
halten sie sich gegenseitig. Nur auf diese Weise können sie den Strömungen von
Ebbe und Flut trotzen, werden nicht unkontrolliert hin und hergeworfen – und
stützen sich gegenseitig.
Gerade in unserer derzeitigen Situation brauchen auch wir
diese gegenseitige Unterstützung. So, wie die Fäden der Miesmuschel auch dem
Seetang und der Auster Stärke und Halt verleihen, so können wir uns vernetzen
und gegenseitig stützen. Nur durch gegenseitige Unterstützung – oft auch aus
der Entfernung über das World Wide Web (das „Inter-Netz“) oder über das
Telefon-Netz, oder das Funk-Netz, können wir verhindern, dass wir ins Trudeln
kommen, dass wir im Strom von Ebbe und Flut der Meinungen und Emotionen hin-
und hergeworfen werden.
Und ich glaube auch, dass jede und jeder von uns seinen
Platz darin hat: die einen spinnen die Fäden, die uns vernetzen, die anderen
geben die Stärke, die uns erdet, wieder andere sorgen, wie der Seetang, für
Auftrieb. Und manche fallen uns erst gar nicht auf, wie die kleinen Seepocken,
die bescheiden und still auf der Miesmuschel sitzen und keinen stören.
Uns alle umgibt – unsichtbar und doch da, Gottes Gegenwart.
Psalm 139, 5: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst
deine Hand über mir.
Ich wünsche uns, dir und mir,
einen Halt in schwierigen Zeiten,
wenn Ebbe und Flut an mir und dir zerren,
wenn die Strömungen dich und mich umherwerfen,
dann wünsche ich uns, dir und mir,
so eine Miesmuschel, die ihre Fäden aussenden,
und uns umhüllt.
Gott,
Von allen Seiten umgibst du mich – und hältst deine Hand
über mir.
Amen
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