Der Predigttext stammt aus dem 1. Korintherbrief - Paulus schreibt an diese Gemeinde:
Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen.Vielen Dank, wenn ihr bis hierher gelesen habt - der Text ist sprachlich durchaus eine Zumutung!
Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen, als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.
Und ich war bei euch in Schwachheit und Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern wir reden, wie geschrieben steht:
Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.
Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.
Und das sind meine Gedanken dazu:
In der Epiphanias – Zeit feiern wir in den Kirchen die Erscheinung des Herrn – aber was bedeutet das für jeden, jede einzelne von uns? Wie verstehen wir Gott, wie verstehen wir Jesus, was bedeutet der Heilige Geist für jeden, für jede von uns? Ich habe eine kleine Geschichte gefunden:
Und Jesus fragte einen Bauern: “ Wer bin ich?” - “Du bist das Brot des Lebens.”Ja, wer von diesen vielen Menschen hat Recht?
Er fragte einen Seemann, und der antwortete: “Du bist das rettende Ufer, wenn das Schiff in Not ist.”
Er fragte auch ein Kind: “Du bist wie eine Mutter, die niemals schimpft.”
Zum Schluss fragte er einen Theologen: “Wer bin ich?”
Der Theologe antwortete: “Du bist Christus, die soteriologische Ausprägung der Offenbarung von der Heilswirklichkeit Gottes, der Mittelpunkt der Schöpfung, ohne den alle Suche nach Sinnhaftigkeit der Welt verblassen müsste.”
Und Jesus fragte staunend: “Was bin ich?”
Die Herrlichkeit Gottes, die sich in Jesus Christus offenbart, erschließt sich nicht unwillkürlich und nicht allen und vor allem nicht allen gleich, wie Paulus im Predigttext betont.
In diesem Textabschnitt schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth und erinnert sie daran, wie er bei ihnen war und ihnen das Evangelium von Jesus Christus gebracht hatte.
Es schreibt vom Geheimnis Gottes, das er nicht mit schlauen Worten oder gekonnter Rhetorik erklärt hatte. Nichts als Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten, hat er ihnen verkündet.
Paulus selbst stellt sich hier nicht dar als einer, der alles weiß über den christlichen Glauben, obwohl er ja sehr wohl derjenige ist, der den Korinthern zum ersten Mal davon erzählt hat. Er hätte durchaus der Theologe in meinem kleinen Beispiel sein können – falsch ist die Aussage ja nicht. Aber Paulus sieht sich in Korinth eben nicht als gekonnten Rhetoriker, der mit scharf geschliffenen Worten Gottesbeweise anführt. Nein, er habe das Evangelium gepredigt in Schwachheit und in Furcht, damit der Glaube eben nicht auf Menschenweisheit beruht, sondern allein auf Gottes Kraft.
Mich verwundert diese Bescheidenheit: denn immerhin ist Paulus ja der Autor aus der Anfangszeit des christlichen Glaubens, dessen Schriftstücke seit 2000 Jahren in der Bibel wieder und wieder gelesen werden. Ein Bestseller-Autor, könnten wir sagen, eine Autorität in Fragen christlichen Glaubens und christlichen Lebenswandels, ein Experte in allen geistlichen Dingen. Aber so sieht er sich selbst eben nicht. Er baut kein philosophisches Gedankenkonstrukt auf, dem wir widerstandslos zu folgen hätten. Er spricht nicht aus eigener Machtvollkommenheit oder weil er vielleicht derjenige ist, der den Willen Gottes am besten verstanden hätte. Nein – er spricht eher verhalten von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist. Diese verborgene Weisheit Gottes offenbart sich durch den Geist – und zwar nicht den besonders Schlauen oder den Mächtigen, sondern uns, ganz normalen Menschen, in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, Ihnen und Euch, dir und mir offenbart sich Gottes Geheimnis im Geist.
Immer wieder betont Paulus in unserem Textabschnitt das Geheimnis der Weisheit Gottes, das sich nicht durch eine Predigt offenbart, sondern allein durch den Heiligen Geist.
Und er wiederholt es mehrfach: das Wissen über Gott bleibt ein Geheimnis.
Geheimnisse, vor allem die von anderen, reizen uns. Wir wollen sie aufdecken, entschlüsseln, entmystifizieren. Das Geheimnisvolle birgt immer auch etwas Interessantes in sich:
Ein Zaubertrick ist z.B. nur so lange interessant, bis wir verstanden haben, wie er funktioniert.
Naturwissenschaft lebt von der Entschlüsselung von Geheimnissen und verborgenen Zusammenhängen. Ohne diese Neugier würden wir Menschen uns nicht dahin entwickelt haben, wo wir jetzt stehen. Vermutlich würden wir nicht mehr in Höhlen leben und Mammuts jagen, aber ob wir Supermärkte hätten, Computer und die Möglichkeiten des Online-Einkaufs, ob wir Homeoffice erfunden hätten oder wirksame Medikamente gegen viele lebensbedrohliche Krankheiten – das ist fraglich. Aber der Forscherdrang treibt uns immer weiter, wir forschen, wir suchen nach Lösungen. Gerade in der heutigen Zeit scheint es nicht mehr hinnehmbar, dass manche Dinge einfach mysteriös bleiben. Wir sind sicher, dass wir für alles eine natürliche, eine logische, eine naturwissenschaftliche Erklärung finden.
Nicht so über Gott, sagt Paulus. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist. Dies ist das Geheimnis, das wir nicht entschlüsseln können – wie sehr es uns auch dazu juckt und wie viele wissenschaftliche Methoden wir auch zu Rate ziehen mögen. Gott entzieht sich uns – wann immer wir versuchen, ihn zu verstehen und ihn zu entmystifizieren. Es gibt einfach keinen wirklich schlüssigen Gottesbeweis. Kein Wunder also, dass moderne Menschen den Glauben an Gott als rückständig und antiquiert ablehnen.
Wie sehen Sie das?
Finden Sie es schade, dass wir keinen schlüssigen Gottesbeweis finden können?
Ich selbst bin eigentlich ganz froh darüber, dass Gott im Geheimnis verborgen bleibt. Wer wollte schon einem Gott vertrauen, der sich von normalen Menschen entschlüsseln lässt?
Dietrich Bonhoeffer sagt zu diesem Thema:
„Wir reden von der heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes…Gottes Gedanken liegen nicht auf der Hand, sind nicht common sense, Gott lässt sich nicht einfach fassen, wo wir ihn gerade fassen wollen, sondern die Kirche redet von der heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes. Gott lebt im Geheimnis. Sein Sein ist uns Geheimnis, Geheimnis von Ewigkeit her und zu Ewigkeit hin. Alle Gedanken, die wir über Gott denken, dürfen nie dazu dienen, dies Geheimnis aufzuheben, Gott zu etwas allgemein Begreiflichem, Geheimnislosem zu machen, sondern vielmehr muss alles Denken über Gott nur dazu dienen, sein uns gänzlich überlegenes Geheimnis sichtbar zu machen, Gottes heimliche, verborgene Weisheit in ihrer Heimlichkeit und Verborgenheit sichtbar zu machen, sie nicht dieser zu berauben…
Aber die Welt ist gegen dieses Geheimnis blind. Sie will einen Gott, den sie verrechnen und ausnutzen kann, oder sie will gar keinen Gott. Das Geheimnis Gottes bleibt ihr verborgen. Sie will es nicht. Sie macht sich Götter nach ihrem Wunsch, aber den nahen, heimlichen, verborgenen Gott erkennt sie nicht.“
An dieser Stelle könnte meine Predigt zu Ende sein.
Aber ich möchte gern noch einen weiteren Gedanken mit Ihnen und Euch teilen.
Denn es hat seinen Grund, warum Paulus das Geheimnisvolle am Glauben hier so sehr betont und warum er sich selbst eher bescheiden darstellt. Eigentlich hätte Paulus das nicht nötig, denn er ist ein hochgebildeter Mann seiner Zeit, der bei einem der bekanntesten Gelehrten in die Lehre gegangen ist. Warum verkündet er also nicht in aller geistlichen Autorität, wie Gott ist, wie er Gott verstanden hat?
Ich habe es schon gesagt: diese Worte vom Geheimnis der Weisheit Gottes gehen an die Gemeinde in Korinth.
Korinth ist eine antike Hafenstadt – und wie alle Hafenstädte dieser Welt zu allen Zeiten ist Korinth ein Schmelztiegel der verschiedensten Menschen. Da gibt es Arme, Reiche, Gebildete, Ungebildete, Sklaven und Herren, Männer und Frauen – eine bunte Mischung durch alle Gesellschaftsschichten und durch alle bekannten Völker der damaligen Zeit. Alle diese verschiedenen Menschen mit ihrer unterschiedlichen Herkunft und Kultur treffen sich auch in der kleinen christlichen Gemeinde von Korinth – und das ist eigentlich ja nicht viel anders als in jeder normalen Gemeinde heutzutage.
Und wie heute auch, so wird es damals ebenso gewesen sein, dass jede und jeder die christliche Botschaft von der Weisheit Gottes vor der eigenen persönlichen Folie verstanden hat.
Eine Frau versteht anders als ein Mann.
Ein Chef oder leitender Angestellter versteht anders als ein Untergebener.
Ein akademisch Gebildeter versteht etwas anderes als jemand ohne akademisches Studium.
Ein Handwerksmeister hat andere Prioritäten als ein Kaufmann.
Ein Bauer, ein Seemann, ein Kind – ein Theologe. Jeder hat einen anderen Aspekt in seiner Erkenntnis.
Du verstehst anders als ich.
Diese Unterschiedlichkeiten rufen schon im gesellschaftlichen Miteinander ein soziales Gefälle hervor, das wir kaum vermeiden können. Und ganz schnell hat sich in allen Gemeinschaften dieser Welt, nicht nur in christlichen Gemeinden, eine Art Hackordnung gebildet, nach der klar ist, wer das Sagen hat, und wer auszuführen hat, was gesagt wurde. Oder wessen Erkenntnis als „richtiger“ gilt als andere. Oder wessen Frömmigkeitsstil der bessere ist.
Aber: in der Erkenntnis Gottes spielt das alles keine Rolle, sagt Paulus, denn Gott ist und bleibt mysteriös, er lässt sich nicht einengen, er bleibt unverfügbar, er lässt sich nicht vor irgendeinen Karren spannen – auch durch noch so intensives Gebet nicht.
Paulus schreibt über das Geheimnis der Weisheit Gottes an genau diese bunt zusammengewürfelten Korinther, an die einige Kapitel später die eindringliche Mahnung ergeht, nicht aus unterschiedlichen Erkenntnisständen eine religiöse Rangfolge abzuleiten. Paulus benutzt dazu dann das Beispiel vom Leib und seinen Gliedern: jedes noch so kleine Glied ist wichtig für den gesamten Leib. Das kann jeder von uns nachvollziehen, der sich schon einmal den so nutzlos wirkenden kleinen Zeh gestoßen hat.
An genau dieselben Korinther schreibt er noch ein Kapitel später den Lobpreis der Liebe, den wir alle kennen, und den wir so gerne zu Hochzeiten zitieren. Dabei geht es bei diesem Textabschnitt zwar auch um die romantische Liebe zwischen zwei Menschen, aber auch um alle anderen Arten von Zusammensein und Zusammenleben. Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe – aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Diesen Satz kennen wir alle, denke ich.
An dieselben bunt zusammengewürfelten Korinther schreibt Paulus ebenfalls in demselben Brief, dass auch er kein christlicher Supermann ist, sondern auch sein Wissen ist Stückwerk, und erst in der Ewigkeit wird sich das Stückwerk zu einem ganzen Bild zusammenfügen. Was jetzt noch unklar, mysteriös erscheint, das werden wir erkennen – wenn es so weit ist.
Warum schreibt er all das an die Korinther?
Eben weil er damit klarmachen möchte, dass geistliche Erkenntnis nichts, aber auch gar nichts mit dem gesellschaftlichen Stand zu tun hat.
Jede und jeder von uns hier in der Kirche hat seine eigenen Gedanken. Für jeden ist etwas anderes selbstverständlich im christlichen Glauben. Alle diese einzelnen Facetten ergänzen sich. Und niemand hat das Recht, einem anderen eine falsche Erkenntnis vorzuwerfen.
Es geht nicht darum, wer am meisten von Gott erkannt hat. Es geht nicht darum, wer am besten predigen kann. Es geht nicht darum, wer die Liturgie am schönsten singen kann oder wer die originellsten Gedanken und Geschichten von der Kanzel predigt. Es geht auch nicht darum, wer am innigsten betet, und es geht auch nicht darum, wer am häufigsten oder auch am wenigsten in die Kirche geht. Alle diese Dinge sind gut und wichtig – aber keins ist wichtiger, und keins davon offenbart uns Gott im Ganzen. Nicht einmal dann, wenn wir uns alle zusammentäten und alle Ideen über Gott zusammentragen, nicht einmal dann könnten wir Gott in seiner Gänze erkennen. Gottes Weisheit bleibt ein Geheimnis, ein Mysterium, wie es im griechischen Urtext heißt.In einer Predigt im Internet fand ich folgenden Gedankenversuch:
Lasst uns mal im Geist eine Umfrage machen.
Ich gehe auf die Straße und frage jeden, den ich treffe: Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Kirche?
Der Erste antwortet: Die Kirche soll sich um die kümmern die Hilfe brauchen – die Kranken, Behinderten, Traurigen, Einsamen, Depressiven, Alten; sie soll ihnen Trost und Lebenshilfe geben.
Der Zweite antwortet: Die Kirche soll der Jugend Werte vermitteln; sie soll bei der Erziehung mithelfen, dass einmal anständige Menschen daraus werden.
Der Dritte antwortet: Die Kirche muss ihrem gesellschaftspolitischen Auftrag nachkommen. Sie muss Stellung nehmen zu den brennenden Fragen unserer Zeit; sie muss den Mund auftun in Sachen Hunger, Krieg, Umweltschutz und Atomenergie.
Das sind nur drei mögliche Meinungen. Welche ist denn richtig? Denn dass ein Mensch allein nicht alle diese Anforderungen bedienen kann, ist ja klar.
Was für uns als Gemeinde daraus folgt, liegt auf der Hand: unabhängig vom Erkenntnisstand gehören wir zusammen als christliche Gemeinde. Selbstverständlich darf man anderer Meinung sein, und darf sich auch mal mit anderen Auffassungen auseinandersetzen und sie diskutieren. Aber das soll uns nicht dauerhaft entzweien.
Denn letztlich können wir das Mysterium Gottes nicht entschlüsseln.
Letztlich wissen wir nicht wirklich, welche Meinung die richtige ist.
Letztlich bleibt uns im Glauben nur, dafür zu sorgen, dass wir in aller Bescheidenheit uns auf das Wesentliche konzentrieren – und das ist, wie Paulus in unserem Predigttext sagt: Jesus Christus, der Gekreuzigte.
Und wenn ich jetzt den formellen Schluss einer jeden Predigt sage, dann sage ich auch diese Worte im Bewusstsein, dass uns unterschiedliche Erkenntnisstände und unterschiedliche Auslegungen ganz schnell und dauerhaft entzweien könnten. Höher als unsere Vernunft ist Gottes Friede – wir können ihn nicht begreifen, nicht verstehen, nicht beweisen. Wir können ihn erleben, es kann uns ein Teilchen davon offenbart werden im Geist. Aber mehr eben nicht.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere Vernunft zu begreifen vermag, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Amen
Seid behütet
Aber ich möchte gern noch einen weiteren Gedanken mit Ihnen und Euch teilen.
Denn es hat seinen Grund, warum Paulus das Geheimnisvolle am Glauben hier so sehr betont und warum er sich selbst eher bescheiden darstellt. Eigentlich hätte Paulus das nicht nötig, denn er ist ein hochgebildeter Mann seiner Zeit, der bei einem der bekanntesten Gelehrten in die Lehre gegangen ist. Warum verkündet er also nicht in aller geistlichen Autorität, wie Gott ist, wie er Gott verstanden hat?
Ich habe es schon gesagt: diese Worte vom Geheimnis der Weisheit Gottes gehen an die Gemeinde in Korinth.
Korinth ist eine antike Hafenstadt – und wie alle Hafenstädte dieser Welt zu allen Zeiten ist Korinth ein Schmelztiegel der verschiedensten Menschen. Da gibt es Arme, Reiche, Gebildete, Ungebildete, Sklaven und Herren, Männer und Frauen – eine bunte Mischung durch alle Gesellschaftsschichten und durch alle bekannten Völker der damaligen Zeit. Alle diese verschiedenen Menschen mit ihrer unterschiedlichen Herkunft und Kultur treffen sich auch in der kleinen christlichen Gemeinde von Korinth – und das ist eigentlich ja nicht viel anders als in jeder normalen Gemeinde heutzutage.
Und wie heute auch, so wird es damals ebenso gewesen sein, dass jede und jeder die christliche Botschaft von der Weisheit Gottes vor der eigenen persönlichen Folie verstanden hat.
Eine Frau versteht anders als ein Mann.
Ein Chef oder leitender Angestellter versteht anders als ein Untergebener.
Ein akademisch Gebildeter versteht etwas anderes als jemand ohne akademisches Studium.
Ein Handwerksmeister hat andere Prioritäten als ein Kaufmann.
Ein Bauer, ein Seemann, ein Kind – ein Theologe. Jeder hat einen anderen Aspekt in seiner Erkenntnis.
Du verstehst anders als ich.
Diese Unterschiedlichkeiten rufen schon im gesellschaftlichen Miteinander ein soziales Gefälle hervor, das wir kaum vermeiden können. Und ganz schnell hat sich in allen Gemeinschaften dieser Welt, nicht nur in christlichen Gemeinden, eine Art Hackordnung gebildet, nach der klar ist, wer das Sagen hat, und wer auszuführen hat, was gesagt wurde. Oder wessen Erkenntnis als „richtiger“ gilt als andere. Oder wessen Frömmigkeitsstil der bessere ist.
Aber: in der Erkenntnis Gottes spielt das alles keine Rolle, sagt Paulus, denn Gott ist und bleibt mysteriös, er lässt sich nicht einengen, er bleibt unverfügbar, er lässt sich nicht vor irgendeinen Karren spannen – auch durch noch so intensives Gebet nicht.
Paulus schreibt über das Geheimnis der Weisheit Gottes an genau diese bunt zusammengewürfelten Korinther, an die einige Kapitel später die eindringliche Mahnung ergeht, nicht aus unterschiedlichen Erkenntnisständen eine religiöse Rangfolge abzuleiten. Paulus benutzt dazu dann das Beispiel vom Leib und seinen Gliedern: jedes noch so kleine Glied ist wichtig für den gesamten Leib. Das kann jeder von uns nachvollziehen, der sich schon einmal den so nutzlos wirkenden kleinen Zeh gestoßen hat.
An genau dieselben Korinther schreibt er noch ein Kapitel später den Lobpreis der Liebe, den wir alle kennen, und den wir so gerne zu Hochzeiten zitieren. Dabei geht es bei diesem Textabschnitt zwar auch um die romantische Liebe zwischen zwei Menschen, aber auch um alle anderen Arten von Zusammensein und Zusammenleben. Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe – aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Diesen Satz kennen wir alle, denke ich.
An dieselben bunt zusammengewürfelten Korinther schreibt Paulus ebenfalls in demselben Brief, dass auch er kein christlicher Supermann ist, sondern auch sein Wissen ist Stückwerk, und erst in der Ewigkeit wird sich das Stückwerk zu einem ganzen Bild zusammenfügen. Was jetzt noch unklar, mysteriös erscheint, das werden wir erkennen – wenn es so weit ist.
Warum schreibt er all das an die Korinther?
Eben weil er damit klarmachen möchte, dass geistliche Erkenntnis nichts, aber auch gar nichts mit dem gesellschaftlichen Stand zu tun hat.
Jede und jeder von uns hier in der Kirche hat seine eigenen Gedanken. Für jeden ist etwas anderes selbstverständlich im christlichen Glauben. Alle diese einzelnen Facetten ergänzen sich. Und niemand hat das Recht, einem anderen eine falsche Erkenntnis vorzuwerfen.
Es geht nicht darum, wer am meisten von Gott erkannt hat. Es geht nicht darum, wer am besten predigen kann. Es geht nicht darum, wer die Liturgie am schönsten singen kann oder wer die originellsten Gedanken und Geschichten von der Kanzel predigt. Es geht auch nicht darum, wer am innigsten betet, und es geht auch nicht darum, wer am häufigsten oder auch am wenigsten in die Kirche geht. Alle diese Dinge sind gut und wichtig – aber keins ist wichtiger, und keins davon offenbart uns Gott im Ganzen. Nicht einmal dann, wenn wir uns alle zusammentäten und alle Ideen über Gott zusammentragen, nicht einmal dann könnten wir Gott in seiner Gänze erkennen. Gottes Weisheit bleibt ein Geheimnis, ein Mysterium, wie es im griechischen Urtext heißt.In einer Predigt im Internet fand ich folgenden Gedankenversuch:
Lasst uns mal im Geist eine Umfrage machen.
Ich gehe auf die Straße und frage jeden, den ich treffe: Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Kirche?
Der Erste antwortet: Die Kirche soll sich um die kümmern die Hilfe brauchen – die Kranken, Behinderten, Traurigen, Einsamen, Depressiven, Alten; sie soll ihnen Trost und Lebenshilfe geben.
Der Zweite antwortet: Die Kirche soll der Jugend Werte vermitteln; sie soll bei der Erziehung mithelfen, dass einmal anständige Menschen daraus werden.
Der Dritte antwortet: Die Kirche muss ihrem gesellschaftspolitischen Auftrag nachkommen. Sie muss Stellung nehmen zu den brennenden Fragen unserer Zeit; sie muss den Mund auftun in Sachen Hunger, Krieg, Umweltschutz und Atomenergie.
Das sind nur drei mögliche Meinungen. Welche ist denn richtig? Denn dass ein Mensch allein nicht alle diese Anforderungen bedienen kann, ist ja klar.
Was für uns als Gemeinde daraus folgt, liegt auf der Hand: unabhängig vom Erkenntnisstand gehören wir zusammen als christliche Gemeinde. Selbstverständlich darf man anderer Meinung sein, und darf sich auch mal mit anderen Auffassungen auseinandersetzen und sie diskutieren. Aber das soll uns nicht dauerhaft entzweien.
Denn letztlich können wir das Mysterium Gottes nicht entschlüsseln.
Letztlich wissen wir nicht wirklich, welche Meinung die richtige ist.
Letztlich bleibt uns im Glauben nur, dafür zu sorgen, dass wir in aller Bescheidenheit uns auf das Wesentliche konzentrieren – und das ist, wie Paulus in unserem Predigttext sagt: Jesus Christus, der Gekreuzigte.
Und wenn ich jetzt den formellen Schluss einer jeden Predigt sage, dann sage ich auch diese Worte im Bewusstsein, dass uns unterschiedliche Erkenntnisstände und unterschiedliche Auslegungen ganz schnell und dauerhaft entzweien könnten. Höher als unsere Vernunft ist Gottes Friede – wir können ihn nicht begreifen, nicht verstehen, nicht beweisen. Wir können ihn erleben, es kann uns ein Teilchen davon offenbart werden im Geist. Aber mehr eben nicht.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere Vernunft zu begreifen vermag, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Amen
Seid behütet
Monika |
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