Wie dem auch sei, in dieser Flaschenpost möchte ich mit euch meine Predigt vom letzten Sonntag teilen. Das war der Sonntag Exaudi, am 12. Mai. Das ist der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten.
Hier nun ohne weitere Anmerkungen meine Predigt:
Predigt:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AmenEinleitung
Liebe Gemeinde,Traue nicht deinen Augen
traue deinen Ohren nicht.
Du siehst das Dunkel -
Vielleicht ist es Licht.
Dieses kleine Gedicht von Bertold Brecht begleitet mich schon eine ganze Zeit in meinem Leben. Ich mag daran, wie in der Widersprüchlichkeit dieser Formulierung eine tiefe Weisheit verborgen ist.
Eigentlich sollten wir Licht und Dunkel erkennen können – Glück oder Unglück sollten wir unterscheiden können. Und doch sagt Bertold Brecht in diesem Vierzeiler, dass wir beides miteinander verwechseln können. Wir sehen das Dunkel – das Unglück. Aber vielleicht ist es Licht, vielleicht dient es uns zum Guten – und umgekehrt!
Eine Geschichte von Christian Morgenstern beschreibt, was gemeint sein könnte:
Glück und Unglück
Eines Tages lief einem Bauern das einzige Pferd fort und kam nicht mehr zurück. Da hatten die Nachbarn Mitleid mit dem Bauern und sagten: „Du Ärmster! Dein Pferd ist weggelaufen – welch ein Unglück!“Der Landmann antwortete: „Wer sagt denn, dass dies ein Unglück ist?“
Und tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück und brachte ein Wildpferd mit.
Jetzt sagten die Nachbarn: „Erst läuft dir das Pferd weg – dann bringt es noch ein zweites mit! Was hast du bloß für ein Glück!“
Der Bauer schüttelte den Kopf: „Wer weiß, ob das Glück bedeutet?“ Das Wildpferd wurde vom ältesten Sohn des Bauern eingeritten; dabei stürzte er und brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und sagten: „Welch ein Unglück!“
Aber der Landmann gab zur Antwort: „Wer will wissen, ob das ein Unglück ist?“
Kurz darauf kamen die Soldaten des Königs und zogen alle jungen Männer des Dorfes zum Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück – mit seinem gebrochenen Bein.
Da riefen die Nachbarn: „Was für ein Glück! Dein Sohn wurde nicht eingezogen!“
Glück und Unglück wohnen eng beisammen, wer weiß schon immer sofort, ob ein Unglück nicht doch ein Glück ist?
Mit diesem weisen Satz endet die Geschichte und überlässt es uns selbst, dazu einen eigenen Standpunkt zu finden. Was ist Glück, was ist Unglück – und wie lässt es sich unterscheiden?
Die Dinge, die die Nachbarn in dieser Geschichte hier als Unglück bezeichnen, würden wir vermutlich ebenso einordnen: wenn das Pferd eines Bauern wegläuft, dann fehlt ihm sein wichtigstes Arbeitstier. Wir könnten das mit dem Verlust unserer Arbeitsstelle vergleichen. Das ist schon großes Pech, wenn man zu den Menschen gehört, die betriebsbedingt gekündigt werden – weil die Wirtschaft lahmt oder die Firma schlechte Geschäfte gemacht hat. So ein Unglück.
Und das zweite Unglück in dieser Geschichte ist der Sturz des Sohnes vom Pferd. Eine Krankheit, egal, ob sie uns selbst trifft oder einen geliebten Menschen, empfinden wir immer als Unglück. Womöglich gibt es keine Heilungschance. Womöglich ist die Lebenszeit oder die Lebensqualität durch die Krankheit eingeschränkt. So ein Unglück.
Und was hier von den Nachbarn als Glück bezeichnet wird, das würden wir ebenso einordnen: ein zugelaufenes zusätzliches Pferd – also unerwarteter Reichtum, das bedeutet finanzielle Sicherheit. So ein Glück.
Und dass die Soldaten den Sohn nicht mitgenommen haben, dass er zu Hause bleiben kann und seinem Vater helfen kann – wir nennen das in unserer Zeit eher glückliche Beziehungen. Wir brauchen das: die menschliche Nähe, das Miteinander. So ein Glück.
Und doch erweisen sich in der Geschichte sowohl das Glück als auch das Unglück als trügerisch. Was zunächst als Glück empfunden wurde, zeigt sich im weiteren Verlauf als die Ursache von Unglück. Und was zunächst als Unglück empfunden wurde, zeigt sich dann als glücklicher Umstand, der vor weiterem Unglück bewahrt.
Warum erzähle ich das so ausführlich?
Weil diese Bewertung in Glück und Unglück – in positiv oder negativ – so tief in unser Denken und Empfinden eingewoben ist. Wir können gar nicht anders, als sofort einzuordnen: so ein Glück oder so ein Unglück.
Ein banales Beispiel ist das Wetter: wenn die Sonne scheint, dann nennen wir das „gutes Wetter“, wenn es regnet, ist das Wetter schlecht. Aber schon dieses Beispiel zeigt uns ja, dass gut und schlecht zum selben Ereignis gehören, denn was der Urlauber schlecht nennt, den Regen, das freut den Bauern, dessen Felder die Bewässerung brauchen.
Wir haben vorhin im Evangelium die große Abschiedsrede Jesu an seine Jünger gehört. Vom Ablauf der Ereignisse her gehört diese Rede eigentlich in die Zeit vor Karfreitag. Im Kirchenjahr sind wir jedoch schon zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Dieser Text ist aber für diesen heutigen Sonntag als Predigttext vorgesehen – und auch ganz passend. Denn die Jünger sind eigentlich in einer ganz ähnlichen Situation wie vor Karfreitag. Am Donnerstag haben wir Himmelfahrt gefeiert – der auferstandene Christus hat seine Zeit auf der Erde vollendet und wurde in den Himmel aufgenommen. Was auch immer das heißt. Zurück bleiben die Jünger – und ihnen wird aufgetragen, auf den Tröster zu warten. Das ist wirklich ganz ähnlich wie nach Jesu Tod – die Jünger blieben zurück und warteten darauf, dass Jesus nach drei Tagen – wie auch immer – den Tod besiegen wird. Das nur zur zeitlichen Abfolge der Ereignisse.
Ich lese also noch einmal einen kleinen Abschnitt aus dem Evangelium, diesmal in der Übersetzung der Basisbibel:
Jesus sagt zu seinen Jüngern: Ich gehe zu dem, der mich beauftragt hat. Und keiner von euch fragt mich: Wohin gehst du? Vielmehr seid ihr traurig, weil ich das zu euch gesagt habe.“
Soweit der Anfang des Predigttextes.
Mal ehrlich: was würden wir denn denken, wenn uns jemand sagt: „ich werde bald sterben.“
Das ist keine gute Nachricht. Das möchten wir nicht so einfach hinnehmen, wenn wir denjenigen gern haben. Der Tod ist der Abschied für immer – in diesem Leben werden uns danach nicht mehr wieder sehen. Das macht traurig, das wollen wir nicht. Wir tun alles, was nötig ist, um das Leben desjenigen zu verlängern.
So reagierten denn auch die Jünger auf diese Ankündigung Jesu: du wirst sterben? So ein Unglück!
Jesus nimmt das wahr – auch die Trauer der Jünger nimmt er ernst.
Anders können wir in unseren Beziehungen nicht miteinander umgehen: wenn jemand etwas als Unglück einordnet, dann liegt es nicht an uns, ihm das auszureden. Der angekündigte Tod Jesu macht die Jünger traurig. Punkt. So ist das. Und das ist in Ordnung. Daran ist nichts falsch.
Niemals würde ich zu einem Kranken oder Sterbenden sagen: „Bestimmt hat Gott etwas Gutes damit im Sinn.“
Es widerstrebt mir zutiefst, so zu denken und zu reden. Trauer und das Gefühl von Unglücklichsein sind echte Gefühle, die ich nicht wegreden oder gar schön reden kann. Das wäre unendlich zynisch.
Dennoch erklärt Jesus weiter: „Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, dann kommt der Beistand nicht zu euch. Aber wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden.“
Wie mögen sich die Jünger gefühlt haben, als Jesus ihnen das sagte? Ich würde mich beklommen fühlen – die Trauer bleibt, vielleicht auch die Hoffnung, dass Jesus doch nicht stirbt. Aber anscheinend sieht er selbst in seinem Tod ja etwas anderes. Er selbst ordnet den Tod anscheinend nicht als Unglück ein – also werden die Jünger vermutlich ihre Beklommenheit hinuntergeschluckt haben und versucht haben, in diesen letzten Tagen noch möglichst viel Gemeinschaft mit Jesus zu erleben.
Was Jesus hier ankündigt: er wird einen Beistand senden – das ist quasi die Ankündigung von Pfingsten – die Ausgießung des Heiligen Geistes über alle Menschen. Wir heute können das einordnen. Wir schauen sozusagen aus der Zukunft auf die Vergangenheit, in der diese Rede gehalten wurde. Im Rückblick wissen wir, dass Jesu Tod unvermeidlich war. Im Rückblick können wir aushalten, dass Jesus nach Himmelfahrt noch einmal 10 Tage unsichtbar und unerreichbar ist. Erst an Pfingsten erlebten die Jünger, was gemeint war. Erst im Rückblick konnten sie verstehen, wovon Jesus hier gesprochen hatte.
Unser Leben verläuft zeitlich linear – immer ein Augenblick nach dem nächsten. Wir können nicht in die Zukunft schauen. Wir können nicht wissen, ob das, was wir als Glück einordnen, sich auch in Zukunft als Glück erweisen wird – oder ob das vermeintliche Unglück nicht vielleicht die Ursache von großem Glück ist. Wir wissen es einfach nicht.
Und so schließt sich der Kreis meiner Predigt vorerst. Ich bin wieder am Anfang bei dem Gedicht von Bertold Brecht:
Traue nicht deinen Augen
traue deinen Ohren nicht.
Du siehst das Dunkel -
Vielleicht ist es Licht.
Mir bleibt noch eine Aufgabe heute: nämlich die Einordnung meiner Gedanken in den Sonntag Exaudi.
Exaudi: Höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!
Was bleibt uns denn angesichts der Ungewissheit, angesichts unseres Unvermögens Glück und Unglück einzuordnen und zu beurteilen. Es bleibt eigentlich nur, die Nähe desjenigen zu suchen, der keiner zeitlichen Beschränkung unterlegen ist. Möge Gott uns Augen, Ohren und Herzen öffnen, um sein Wirken erkennen zu können in dem, was uns begegnet.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Amen
Es grüßt euch herzlich
Schöner, nachdenklich stimmender Text ! Danke.
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