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Samstag, 14. November 2020

Ein Sprung in der Schüssel

Hallo, Ihr Lieben jenseits des Meeres - und auch ihr, hier auf der Insel, kennt ihr das auch: da holt ihr den Lieblingsteller aus der Spülmaschine oder aus dem Schrank - und zack - liegt er unten. Kaputt!
Foto: www.hausjournal.net

Und jetzt? "Kaputt gibt neu", sagte eine alte Nachbarin immer. Also: Mülleimer auf, Teller rein, fertig? Oder geht das auch anders?

In dieser Flaschenpost möchte ich mit euch meine Gedanken teilen - über Sprünge und Risse, die mein Leben aufweist - und wie ich damit zu leben lernen kann.
Nicht alles im Leben verläuft glatt. Nicht alle unsere Ziele können wir auch erreichen. Mancher Lebensweg erscheint wie ein Umweg, mancher sogar wie eine Sackgasse. Mit anderen Worten: jede und jeder von uns hat an irgendeiner Stelle einen "Sprung in der Schüssel", ich auf jeden Fall!
Das war schon zu allen Zeiten so, aber jetzt in dieser Corona-Zeit merkt man das nur noch umso deutlicher. Nicht nur ist unser Leben durch die Krankheit an sich bedroht, viel mehr noch machen uns die besonderen Umstände zu schaffen. Es gibt immer mehr Meldungen über Menschen, die finanziell in große Not geraten, immer neue Berufsgruppen sind direkt oder indirekt durch die Corona-Verordnungen betroffen und verlieren ihren Lebensunterhalt. Wie sich das wirtschaftlich auswirken wird, kann ja noch gar keiner genau voraussehen. Auf jeden Fall wirkt es düster.
Und dass die Kontaktbeschränkungen auch psychisch eine Last sind, brauche ich wohl nicht zu sagen. Ich kann von meinem eigenen Leben sagen: schon immer hatte ich die eine oder andere Macke (haben wir ja alle 😉 irgendwie), aber durch die letzten Monate sind meine Sprünge in meiner Schüssel deutlicher geworden... Nicht die finanziellen - da habe ich bisher viel Glück gehabt, aber die sozialen und die psychischen Macken und Sprünge merke ich selbst schon sehr deutlich.

Normalerweise reden wir nicht darüber. Keiner will gerne zugeben, nicht perfekt zu sein. Normalerweise verstecken wir hinter einer glatten Fassade, was uns zu schaffen macht. Geht ja keinen sonst irgend etwas an.

Ich habe schon vor einigen Jahren über eine alte japanische Handwerkskunst gelesen, die mir hilft, Sprünge und Scherben meines Lebens zu akzeptieren. Die Handwerkskunst heißt Kintsugi - ich habe das hier mal mit Wikipedia verlinkt. Kintsubi heißt grob übersetzt: Gold flicken. Gemeint ist: die zerbrochene Schüssel wird mit viel Liebe und Geduld wieder zusammengesetzt, die Risse werden mit Goldstaub überzogen und der gesamte Gegenstand wird wieder neu lackiert. Dadurch wird der Porzellangegenstand wieder nutzbar - aber eigentlich passiert hier noch mehr:

Es nicht ein simples Reparieren. Das könnten wir mit heutigen Klebemitteln vermutlich so, dass man es nicht einmal mehr sehen kann. Es ist auch nicht einfach Upcycling, was hier passiert - nein: durch die aufwändige Restaurierung und die damit verbundene Veränderung durch Gold oder Silber entsteht aus dem einst fehlerhaften, vergänglichen Gegenstand etwas Neues, ganz Eigenes, was ohne die Risse und Sprünge nichts weiter als eine Schale wie jede andere auch wäre.
Ein Bild kann verdeutlichen, was ich meine:
Bild: www.newslichter.de
Nur dadurch, dass man die Risse und Sprünge sichtbar gemacht und mit Gold verziert hat, wirkt diese Schale wie ein besonderer Kunstgegenstand. Das Kaputte, Zerbrochene ist nicht Abfall oder Makel, sondern ein Glücksfall.

Im Moment wirkt es, als ob unsere Gesellschaft und mit ihr jede und jeder einzelne von uns, zu einem Scherbenhaufen von 1000 und mehr Stücken zerspringt. Das Leben kann wie eine Schüssel in unzählige Teile zerspringen. Das aber ist nicht der Endzustand - wir können die Scherben unseres Lebens aufsammeln und uns neu zusammensetzen. Wir können die Risse und Sprünge kitten - und mit Gold überlackieren, sie liebevoll in Szene setzen - und nur so wird jedes einzelne Leben zu etwas Unverwechselbaren, Eigenständigen, Wunderschönen. Es braucht die Risse und Sprünge im Leben, um aus dem glatten fabrikneuen Allerweltsdasein eine Persönlichkeit - ein Leben zu schaffen.

Soll ich noch einen Bibelvers zitieren? Mach ich ja oft bei solchen Gedanken, weil ich das so klasse finde, wie in dem uralten Bibelbuch moderne Weisheiten versteckt sind - man muss sie nur finden! Und oft erzählen uns Geschichten aus anderen Kulturen - wie diese japanische Tradition aus dem 16. Jahrhundert - nur das, was wir eigentlich schon kennen. Also gut, noch ein Bibelvers dazu: 
Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi. Wir haben aber solchen Schatz in irdischen Gefäßen, auf dass die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns selbst. (2. Kor. 4, 6-7)
Für mich heißt das im Zusammenhang mit dem Sprung in der Schüssel: Mag sein, dass das Gefäß (also ich mit meinem Leben und Sein) ein irdisches ist und Sprünge und Risse hat - dennoch scheint in ihm das Licht Gottes und darf mich selbst erleuchten und trösten und vielleicht auch hier und da ein wenig durchschimmern und auf andere Menschen scheinen. Heißt mit anderen Worten: ich brauche mein gesprungenes Dasein nicht einmal selbst mit Gold zu veredeln - das passiert von allein, wenn das göttliche Licht, der helle Schein in mir, sichtbar wird.

Also: nicht Perfektion im Lebenslauf ist mein Ziel, sondern das Aushalten des Unvollkommenen, das liebevolle Inszenieren des Zerbrochenen. Ich will mich nicht aufreiben in dem Bemühen, eine glatte makellose Fassade nach außen aufzubauen. Gerade die Unvollkommenheit meines Lebens birgt Schönheit und zeugt von Lebendigkeit. Die Erlebnisse, die sich als Falten in meinem Gesicht eingegraben haben, die machen mich zu der, die ich wirklich bin. Mehr muss nicht sein!
Und auch eine Pandemie wie Corona kann zwar mein irdisches Leben zerstückeln - aber ein Stückchen von Gottes Ewigkeit wird auch in dieser Situation durchschimmern und meine Sprünge und Risse vergolden! 

Wie geht es euch damit?
Bleibt gesund - körperlich, aber auch seelisch - in dieser merkwürdigen Zeit
Monika

2 Kommentare:

  1. Manche Dinge bekommen erst durch ihre Risse und Gebrauchsspuren etwas richtig Persönliches. Zum Beispiel ein heiß geliebtes Kochbuch - ohne ein paar Fettflecken oder eingerissen Seiten wäre es nur ein Buch. Aber mit den kleinen Macken wird es zu etwas, das nur mir gehört und dem man ansehen kann, wie oft ich es benutze. Ich muss es nur ansehen und rieche schon den Apfelkuchen, den ich schon längst Mal wieder machen wollte. Oder ich fühle die Wärme von der Griesklösschen-Suppe, deren Rezept meine Mama persönlich reingeschrieben hat.
    Bei solchen Dingen fällt es mir leicht, die Sprünge zu akzeptieren. Aber bei mir selbst ist das oft harte Arbeit. Wenn mir an mir selbst ein Makel auffällt oder ich mit einer Eigenschaft von mir unsicher bin, dann bin ich froh über Menschen in meinem Umfeld, die liebevoll wie einer dieser japanischen Handwerker meine Risse oder Sprünge vergolden. Trotzdem fällt es mir oft zunächst schwer, den Sprung zu akzeptieren. Aber das ist vermutlich wie bei dem Puzzle aus einem deiner letzten Posts - es muss sich die neue Situation dann erst in mein Puzzle einfügen, bis es passt und nicht mehr negativ auffällt, sondern wie etwas ganz besonderes glänzt.

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    1. Hallo Lisa, genau so habe ich das gemeint! Und niemand sagt, dass es leicht ist, die Bruchstellen zu akzeptieren. Es ist klasse, wenn man jemanden kennt, die/der dabei helfen kann. Von außen sehen viele Dinge, die mich selbst an mir stören, dann wieder ganz anders aus. Es braucht unbedingt diese Außensicht zusätzlich, um mein Bild von mir zu vervollständigen!

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